Visualisierte Verhältnismässigkeit

Bei Gesprächen unter Bekannten kommen manchmal auch politische Themen auf, wobei die Meinungen diametral auseinander liegen können, aber alle Beteiligten nur glauben, die Fakten dargelegt zu haben. Man fragt sich dann, woran das liegt – so geschehen beim Thema zur Finanzierung der Mobilität in der Schweiz. Im konkreten Gespräch ging es um die Behauptung, dass der Öffentliche Verkehr fast gesamthaft “subventioniert” wird (resp. durch die öffentliche Hand/Steuerzahler finanziert wird), dem gegenüber der private Verkehr sich fast gänzlich selber finanzieren würde (insb. Mineralölsteuern/Strassenverkehrsfonds). So gesehen würden alle Nutzer des Privatverkehrs den Schienenverkehr querfinanzieren, da diese ja neben den allgemeinen Steuern keine Abgaben wie Mineralölsteuern entrichten. Dass dies nicht stimmt, war mir bereits vor Jahren bewusst. Doch der Blick in die visualisierten Zahlen vom Bundesamt für Statistik macht das Auffinden der Tatsachen seit Jahren schwierig bis unmöglich.

Hinter diesen Fakten stehen Zahlen beim BFS und dazu gibt es vom Bundesamt für Statistik BFS, die jährlich angepassten Taschenstatistiken, so auch zum Thema “Mobilität und Verkehr”. Darin findet man auf der zweitletzten Seite auch den Abschnitt “Verkehrsnutzende tragen nicht alle Kosten selbst” zur Finanzierung des Verkehrs in der Schweiz. Bei der Darstellung dieser Sachverhalte gibt es allerdings immer wieder Probleme und Fehler, die auch wenn die Zahlen stimmen, ein falsches oder ein verzerrtes Bild der Dinge wiedergeben, oder sie lassen den Leser komplett ratlos zurück.
Die Zahlen in der Statistik wurden in der Folge von mir nicht überprüft, nur die Darstellungen der Verhältnisse kritisch angeschaut. Nun ist der genannte Sachverhalt gerade durch seine Verschachtelung verschiedenster Relationen (ÖV ggü. Privatverkehr, Kosten ggü. Träger der Kosten, Ausgabensegmente, Kostenträger Öffentlichkeit ggü. Selbstträger) nicht gerade einfach zu verstehen, noch darzustellen. Trotzdem wäre es für eine (politisch) korrekte Diskussion wichtig, gerade von Seiten einer offiziellen Schweizer Behörde, faktisch richtigen Zahlen auch glaubhafte Visualisierungen (Darstellungen) gegenüber zu stellen.

Dies scheint aber seit etlichen Jahren in der genannten Statistik nicht zu klappen. Ich hatte bereits vor Jahren beim BFS interveniert, als die Zahlen auf der Seite zu den Verkehrskosten in der Taschenstatistik Mobilität von 2018 noch mit Kreisen (Pie Charts) visualisiert wurden, da Kreise für die Gegenüberstellung von Relationen zu verwenden höchst problematisch ist (Zahlen grössen- bzw. flächenmässig vergleichen). Denn was wird in der Darstellung verglichen und für die Zahl in die Visualisierung umgesetzt: Wird die Zahl in die Fläche der beiden Kreise übersetzt oder in die Diagonale/Radius und wie vergleicht das interpretierende Auge das?

Weder flächenmässig noch gemessen am Durchmesser stimmt das Verhältnis des Kreises des Strassenverkehrs und Schienenverkehrs

Wenn man das nachrechnet und vergleicht, dann müsste im Bild oben der Kreis für den Strassenverkehr 3.6x grösser sein als er ist, oder der Kreis für die Kosten des Schienenverkehrs wäre verschwindend klein. Wenn man in der gedruckten Form nachmisst, dann ist der grosse Strassenverkehrs-Kreis im Durchmesser 3.4 cm und der kleine Schienenverkehrskreis 1.75 cm. Wenn man nun den Schienenverkehrskreis stabil hält dann müsste der grosse Strassenverkehrskreis im Durchmesser aber 12.5 cm und nicht 3.4 cm messen. Auch wenn man mit dem Verhältnis der Fläche des Kreises misst ist die Darstellung des BFS weit daneben. Wie das BFS gerechnet hat, konnte mir damals niemand sagen, aber ein Jahr später verschwanden die ominösen Kreise aus der Taschenstatistik.


Aktuelle Taschenstatistik Mobilität 2022

Nun werden die Zahlen als Rechtecke dargestellt, welche Barcharts gleichen und in verschiedene Farbtöne unterteilt sind. Damit liesse sich nun in der Höhe, wie auch in der Fläche von Auge die Ausgaben und die Finanzträger vergleichen. Wenn man jedoch nachmisst, so sind die Zahlen wiederum falsch in die Grafik übertragen – beim Vergleich “Strasse” gegenüber “Schiene” werden die Balken für die Strasse deutlich zu dünn gezeichnet. So kommt der Bereich der Strassenausgaben und der benötigten Finanzen des Strassenverkehrs zu gut, resp. klein weg.

In Grün die richtigen Verhältnisse Strassen – Schiene über den eigentlichen Balken (im Hintergrund in Farbe) aus der BFS Taschenstatistik Mobilität 2022: Seite 9

In dieser Darstellung wäre aber das Platzverhältnis gar kein Problem mehr; es könnten die Balken “Strasse” einfach etwas breiter, oder die beiden Balken “Schiene” noch etwas schmäler gezeichnet werden. Warum also wird in der Darstellung von nachmessbaren Zahlen beim BFS immer noch geschummelt?

Im Vergleich von Strassen- zum Schienenverkehr heisst dies, dass die eingangs erwähnte Diskrepanz, welcher Verkehrsträger nun welche öffentlichen Gelder erhält zwar ein einfacher Fakt ist, aber durch die Darstellung des BFS unklar bleibt, denn in der Darstellung sind beide Flächenverhältnisse der beiden Verkehrsträger von Auge fast gleich gross, wenn man misst und nachrechnet ist der öffentlich finanzierte Teil der Strasse um ca. 20% grösser als der der Schiene (immer jeweils die Flächen angeschrieben mit “Allgemeinheit” und “öffentliche Hand” zusammen betrachtet).

Die beiden violett markierten Flächen sind die öffentlich finanzierten Teile der Strasse und der Schiene- hier beim nachmessen Fläche der Strasse ca. 20% grösser als Schiene – von Auge fast nicht abschätzbar

Wenn man dazu mit den angegebenen Kosten und Prozenten die nackten Zahlen ausrechnet kommt man darauf, dass der öffentlich finanzierte Teil der Strasse um 64.2% höher ist als der der Schiene, wir alle geben also als Öffentlichkeit mehr als 1.5 mal soviel für die Strasse aus als für die Schiene (auch wenn wir gar nicht Auto fahren) und dies heisst nun auch, dass die verhältnismässige Darstellung dieses Anteils mehr als drei mal zu klein ist.

Rechnung
14% von 76 Mrd. = 10.64 Mrd.
54% von 12 Mrd. = 6.48 Mrd.
10.64 Mrd. sind 164.2% wenn 6.48 Mrd. 100% sind.


Was soll wie dargestellt werden, um eine Aussage zu treffen

»Published graphics are sometimes attractive and beautifully produced. The content does not always match. That may be because authors and publishers do not expect the graphics to be examined in any detail. They may be added as illustrations to balance the layout and make it look more agreeable.«
Antony Unwin: “Why Is Data Visualization Important? What Is Important in Data Visualization?” 31.01.2020

Natürlich sollten zuerst einmal die Verhältnisse vom Betrag zu der Grösse in der Visualisierung richtig dargestellt werden. Dazu sollen einfache Grössenverhältnisse vom BFS auch dargestellt werden und nicht der Fantasie entspringen. Eine schwierige Aufgabe für unsere Gehirne ist jedoch auch das Verständnis für relative Häufigkeiten. Das Beispiel hier sind die relativen selbstgetragenen Kosten im Schienen-/resp. Strassenverkehr oder umgekehrt die der Öffentlichkeit überlassenen Kosten der Beiden. Diese Verhältnisse (selbst-/öffentlich finanziert) der Verhältnisse (Strasse/Schiene) sind verwirrend genug und sollten deshalb möglichst isoliert dargestellt werden und auf nominell nachvollziehbare Zahlen zurückgeführt werden. Denn wie Gert Gigerenzer aufzeigte, können solche Zahlen auch manipulativ verwendet werden. In seinem Buch “Reckoning with Risk” zeigt er am Beispiel von Medikamentenstudien auf, wie Werbeaussagen manipuliert werden: bei der Verbesserung von einer Medikamentenstudie als 6 aus 1000 Patienten Nebenwirkungen von einem Testmedikament hatten und bei einer neueren Studie als bei 4 aus 1000 Patienten Nebenwirkungen auftraten, lautete die Werbung dann dazu, dass das Medikament jetzt 1/3 besser sei. Dies hat nichts mit falschen Zahlen zu tun, sondern mit der Perspektive und der Verwendung, denn die kleinen Zahlen in den ganz Grossen können wir nicht intuitiv verstehen. So ein Beispiel wurde früher auch spielerisch anhand von Melonen und einer Aufgabenstellung, die mit dem Grössenverhältnis der Hülle der Melone und dem Fruchtfleisch spielt erzählt (nachzulesen als Kartoffel-Paradoxon bei Wikipedia: Wassermelonen- oder Kartoffelparadoxon.

Dazu sollte auch darüber nachgedacht werden, wie welche Sachverhalte dargestellt werden sollen. Denn was zeigt die Mobilitäts-Statistik nun eigentlich auf? Dass der Anteil öffentlich finanziert zu selbst finanziert sich bei den Verkehrsträgern unterscheidet? Dies kann auch aus den Prozentzahlen abgelesen werden.
Aber die aus der Geschichte oben gezogenen falschen Vorurteile, dass sich der Strassenverkehr fast selbst finanziert, währenddessen die Schiene von mehr Subventionen lebt – nicht nur prozentual sondern in unserer Vorstellung auch nominell – sollte mit richtiger Darstellung und Isolierung der Themen gezeigt werden können.

Vorschläge: Gegenüberstellung Kosten Strasse – Schiene
Vorschläge zur Gegenüberstellung selbstfinanziert/öffentlich finanziert bei Strasse und Schiene: Aus der oberen Darstellung geht deutlich hervor, dass die gesamten Kosten der Bahn nur wenig mehr ausmachen als der öffentlich finanzierte Anteil der Strasse; der unteren Darstellung kann man entnehmen, dass der öffentl. finanzierte Anteil der Strasse deutlich mehr ausmacht als der der Schiene (Schiene öffentliche Ausgaben machen nur 61% der Strasse aus)

Gerade bei politisch heiklen Themen schaut man auf die Statistiken und Darstellungen des BFS. Es wäre deshalb umso wichtiger, wenigstens die Zahlen in einem vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Broschüre richtig darzustellen. Zudem wäre es wertvoll auch breiter in der Öffentlichkeit zu überlegen, welche Zahlen überhaupt wichtig sind und visualisiert werden sollen und was weggelassen wird. Denn es geht hier darum, etwas besser zu verstehen mit möglichst kleiner Verwirrung.


Quellen:


Stellungnahme Bundesamt für Statistik BFS vom 01.03.2023

  • In unserer Taschenstatistik werden auf nur 10 kleinen Seiten (A6) die wichtigsten statistischen Fakten zum Verkehr in der Schweiz präsentiert. Das geht nicht ohne starke Vereinfachungen. Wir bieten auf unserer Webseite daneben jede Menge von Veröffentlichungen, die sich spezifisch mit den Kosten und der Finanzierung des Verkehrs auseinandersetzen: mit vielen Details, Erklärungen und nominellen Zahlen. Wer im Internet (über gängige Suchmaschinen) nach Informationen zur Finanzierung des Verkehrs sucht (etwa im Anschluss an ein «Gespräch unter Bekannten»), wird übrigens immer auf diese spezifischen Informationen stossen und nicht auf die hochsummarische Taschenpublikation, die Sie konsultiert haben.
  • Was die zu schmalen Strassen-Balken in der aktuellen Taschenpublikation anbelangt, handelt es sich jedoch in der Tat um einen Fehler bei der Umsetzung, wofür wir uns entschuldigen möchten. Absicht war dies bestimmt nicht. Wir haben unsere Grafikabteilung soeben informiert, und sie werden dies korrigieren.
  • Ihre alternativen Lösungen möchten wir nicht kommentieren, aber darauf hinweisen, dass sich unser Diagramm im Gegensatz zu ihren Darstellungen nicht auf einen einzelnen Aspekt der Verkehrsfinanzierung konzentriert.
  • Die beiden Kategorien «Allgemeinheit» und «Öffentliche Hand» unterscheiden sich fundamental voneinander und dürfen daher (auch im Rahmen einer Taschenstatistik) nicht aggregiert werden. Die Definitionen finden Sie auf unserer einschlägigen Webseite unter «Grundlagen und Erhebungen –> Definitionen» oder auch im Bericht zum Thema. In diesem Zusammenhang erlauben wir uns noch zu erwähnen, dass unsere Erhebung zu den Kosten und zur Finanzierung des Verkehrs, was die Berücksichtigung der der «Allgemeinheit» aufgebürdeten Kosten anbelangt, international als Benchmark in der öffentlichen Statistik gilt.

One comment

  1. Ein solches “Gespräch unter Bekannten” ist mir durchaus bekannt. Ca. einmal im Jahr konsultiere ich danach die veröffentlichten Statistiken vom BFS und bin dann meist, wie im Artikel erwähnt, hilflos zurückgelassen.
    Vielen Dank für das Nachhaken beim BFS, für die aufschlussreichen Darstellungen und natürlich die spannende Art und Weise der Präsentation. Gerne wieder!

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