„Ein Stoss mit der Hand hätte genügt“

Nächstes Jahr wird der Roman “Mein Name sei Gantenbein” von Max Frisch 60 Jahre alt.1 Eine unter einer vielzahl an Geschichten darin handelt von Gantenbein als Soldat in Graubünden und wie er einen Deutschen Zeitgenossen beim Wandern antrifft. Die Geschichte ist vergessen gegangen, im Internet ist fast nichts darüber zu finden. So wie das Max Frisch bereits vorher in Dienstbüchlein (1974) und Schweiz ohne Armee? (1989) kritisiert hat, wird die Rolle der Schweiz in der Geschichte zum Mythos gemacht und die wahren Umstände verschwiegen.2 Historiker Martin Bucher sagt zu SRF Investigativ: Symptomatisch sei auch, dass das Denkmal in Chur in Vergessenheit geraten sei: »Es passt zur Geschichte der Nazis in der Schweiz, die bisher nur punktuell aufgearbeitet wurde.«

Er spricht ein neuerlich aufgearbeitetes nationalsozialistisches Denkmal auf einem Churer Friedhof an, von welchem man erst wieder durch ein Buch und der SRF Radiosendung Zeitblende “Der Nazi-Stein” erfahren haben soll.3 Auch eine “Totenburg”, eine Art Gedenk-Kirche auf einem Hügel über Sankt Gallen war für gefallene deutsche Soldaten vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge geplant, wurde aber nie realisiert.

Foto aus der SRF Dokumentations-Seite: https://medien.srf.ch/o/adaptive-media/image/25150102/thumb-1680/5956749.jpg?t=1674813393579

Visualisierte Verhältnismässigkeit

Bei Gesprächen unter Bekannten kommen manchmal auch politische Themen auf, wobei die Meinungen diametral auseinander liegen können, aber alle Beteiligten nur glauben, die Fakten dargelegt zu haben. Man fragt sich dann, woran das liegt – so geschehen beim Thema zur Finanzierung der Mobilität in der Schweiz. Im konkreten Gespräch ging es um die Behauptung, dass der Öffentliche Verkehr fast gesamthaft “subventioniert” wird (resp. durch die öffentliche Hand/Steuerzahler finanziert wird), dem gegenüber der private Verkehr sich fast gänzlich selber finanzieren würde (insb. Mineralölsteuern/Strassenverkehrsfonds). So gesehen würden alle Nutzer des Privatverkehrs den Schienenverkehr querfinanzieren, da diese ja neben den allgemeinen Steuern keine Abgaben wie Mineralölsteuern entrichten. Dass dies nicht stimmt, war mir bereits vor Jahren bewusst. Doch der Blick in die visualisierten Zahlen vom Bundesamt für Statistik macht das Auffinden der Tatsachen seit Jahren schwierig bis unmöglich.

Bester erster Satz

Danke Andrea Fazioli für einen der besten ersten Sätze der letzten Jahre in ihrem (auf Deutsch gerade erschienenen) Buch “Wachtmeister Studers Ferien. Sein letzter Fall”. Der erste Satz in einer Geschichte ist in der Literatur stets wichtig, so sind auch einige Bücher heute vor allem für ihre Einleitung bekannt, wie etwa Herman Mellvilles Mobi Dick mit den berühmten Worten “Call me Ishmael”.

Fazioli verarbeitet im Buch von Friedrich Glauser unvollendete Text-Fragment zur letzten Studer-Geschichte aus. Glauser, der 1938 starb hat bereits 1920 an den Fragmenten gearbeitet und darin verschiedene Anfänge und Schauplätze vorgeschlagen. Die Geschichte, welche Fazioli hundert Jahre später, 2020 auf Italienisch vorlegte und nun auf Deutsch erschienen ist beginnt also folgendermassen:

Ich hatte mich zum Lesen auf den Balkon im ersten Stock gesetzt, als auf der Strasse unter mir ein Mann stehen blieb und mich fragte, ob ich ihm bitte das Leben retten könnte.”

Später sinnt der Protagonist noch: “Zuerst dachte ich, ich hätte ihn falsch verstanden.
»Verzeihung«, fragte ich, »kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Sie können mir behilflich sein zu leben.«

So beginnt der neue, alte Roman vom Wachtmeister Studer, unbedingt lesenswert, auch der Rest.


Fazioli Andrea, Glauser Friedrich: Wachtmeister Studers Ferien; Sein letzter Fall, auf Deutsch übersetzt von Franziska Kristen, Zürich 2022